Osnabrück. Der Virologe und Ex-WHO-Direktor Klaus Stöhr hat ein Ende aller Anti-Corona-Maßnahmen für Minderjährige gefordert, weil diese nicht schwer an dem Virus erkrankten. Auf die Frage, ob er einen „Freedom Day“ wie Kassenärztechef Andreas Gassen fordere, sagte Stöhr im Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ): „Ja, bei den Kindern und Jugendlichen sofort: Sie sollten alle als geimpft oder genesen gelten und Masken in den Schulen und die Testpflicht für diese Gruppe verschwinden.“
Auch für geimpfte Erwachsene forderte der Epidemiologe deutliche Erleichterungen: „Dazu gehört auch die Quarantäne. Für die Geimpften muss damit schon jetzt Schluss sein, sie dürfen nicht länger vom Arbeiten abgehalten und in die Isolation geschickt werden, denn ich sehe kein Problem, das wir mit der Quarantäne für diese Gruppe lösen könnten“, so der langjährige Direktor der Weltgesundheitsorganisation (WHO).
Das Festhalten an Quarantäne für jeden positiv Getesteten sei „aus epidemiologischer Sicht nicht mehr erforderlich, sondern Realitätsverweigerung“. Etwa 74 Prozent der Erwachsenen seien geimpft, für sie habe die Normalität zu beginnen. „Auch die Testung von gesunden Geimpften sollte daher schleunigst eingestellt werden. Gleiches gilt für Massentests von asymptomatischen Kindern an Schulen. Da wird einfach nur sinnlos Geld verbrannt, das für wirklich wichtige Dinge viel dringender benötigt wird.“
Für eine Aufhebung aller Beschränkungen für Erwachsene (Freedom Day) sei es wegen des Corona-Risikos für ältere Ungeimpfte aber noch zu früh. Mehr als drei Millionen über 50-Jährige seien noch nicht immunisiert, und für die über 60-Jährigen seien die Nachimpfungen noch immer nicht vorbereitet. „Durch den nächsten Winter müssen wir noch mit der Hand an der Bremse wegen der über 50-Jährigen fahren“, stellte sich Stöhr gegen die komplette Aufhebung der Corona-Eindämmung. Die Grippe und andere Atemwegserkrankungen seien wegen der Pandemiebekämpfung auch nicht zirkuliert, weswegen davon besonders viele Menschen erfasst werden könnten. „Also: Die Saison wird heftig, das ist klar.“
Aber Corona-Inzidenzen dürften kein Maßstab für Gegenmaßnahmen mehr sein, sagte Stöhr weiter. „Bei Covid müssen wir altersspezifisch vorgehen. Nur wenn die über 50- und über 60-Jährigen in hoher Zahl schwer erkranken, muss eingegriffen werden, weil Corona für sie gefährlich ist“, aber „nicht vorher“.
Um die Corona-Gefahr für die Risikogruppen einzudämmen, brauche es mehr Impfanstrengungen, sagte der Impfexperte weiter: „Am allerwichtigsten ist es, Impfungen in Alten- und Pflegeheimen und von Pflegebedürftigen sicherzustellen. Jeder dort braucht ein Impfangebot“, so Stöhr. „Das Gleiche gilt für das Personal. Jeder, der mit vulnerablen Gruppen Kontakt hatte, sollte selbst immunisiert sein, um sich und die anvertrauten Personen zu schützen.“
Medizinische Gründe, sich nicht impfen zu lassen, gebe es „für deutlich weniger als einen von 1000“, betonte der Fachmann. „Was aber noch immer fehlt, ist eine kluge Impfkampagne, mit der Pflege- und medizinisches Personal in Problembereichen gezielt angesprochen wird. Ein grobes Versäumnis, denn je höher die Impfquote in dieser Gruppe, je größer die Chance, insgesamt glimpflich durch den Winter zu kommen.“
PM/NOZ