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Deutschland scheut das Risiko – auf Kosten der Gesundheit

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Berlin. In Deutschland wird vergleichsweise wenig Risikokapital in Biotech-Firmen investiert. Das belegen Zahlen, die dem ARD-Mittagsmagazin exklusiv vorliegen. Dabei sind solche Investitionen wichtig für die Medikamentenforschung während der Corona-Pandemie.

Recherchen des ARD-Mittagsmagazin haben ergeben, dass das Risikokapital für die Medikamentenentwicklung in Deutschland knapp ist. Das geht aus einer Sonderauswertung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft „Ernst&Young“ (EY) für das ARD-Mittagsmagazin hervor. Demnach holt Deutschland bei Investitionen von Risikokapital in die Biotech-Branche zwar auf, doch im internationalen Vergleich ist das Investitionsvolumen noch immer gering.

Risikokapital als Mangelware

Gerade zu Zeiten von Corona ist fehlendes Risikokapital für die hiesige Medikamentenforschung ein folgenschweres Hindernis. Kleine und mittelständische Unternehmen aus der Biotech-Branche können ohne finanzielle Hilfe keine Medikamentenentwicklung betreiben. Das kann dazu führen, dass wichtige Corona-Therapeutika fehlen.

Zwar hat sich das in Deutschland investierte Risikokapital seit 2016 von 213 Millionen Euro auf 882 Millionen Euro mehr als vervierfacht. Die Summe ist aber im internationalen Vergleich dennoch gering. Die viel kleinere Schweiz investierte 2020 umgerechnet rund 820 Millionen Euro, Großbritannien sogar rund drei Milliarden Euro, wie aus einer Erhebung des Schweizer Gesundheitssektor-Fonds HBM hervorgeht.

Im Vergleich zu den USA ist das aber noch immer wenig: Die US-Amerikaner investierten 2020umgerechnet mehr als zwölf Milliarden Euro in Biotech-Firmen und damit viermal mehr als alle europäischen Staaten zusammen.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie teilt dazu mit, dass es „mit verschiedenen Förderprogrammen bereits jetzt eine maßgeschneiderte Unterstützung für Start-ups in den verschiedenen Wachstumsphasen“ biete. Außerdem seien „die bestehenden Programme“ mit einem Volumen „von insgesamt rund 9 Mrd. Euro ausgestattet.“ Aus diesem Investitionsvolumen würden derzeit noch rund 4,5 Mrd. Euro für neue Investitionen in den nächsten Jahren zur Verfügung stehen.

Wenn Deutschland nicht Anreize zur Risikofinanzierung schaffe, seien „die Folgen relativ klar“, urteilt Thomas Sattelberger, FDP, Mitglied im Bundestagsforschungsausschuss. „Impfstoffentwicklung, Antibiotikaentwicklung, Medikamentenentwicklung finden außerhalb Deutschlands statt. Start-Ups, die hier entstehen und sich damit beschäftigen, bekommen Wagniskapital, aber überwiegend dann, wenn sie nach Boston oder generell an die Ostküste gehen oder in die Schweiz. Das heißt, wir haben dann auch eine Flucht der Start-Ups aus diesem Lande.“

Investitionen sind dringend nötig

Aus Sicht von Branchenverbänden und Experten sind die Investitionen in Deutschland aber dringend nötig, wenn das Land im internationalen Wettbewerb eine Rolle spielen möchte. Alexander Nuyke von EY kritisiert das Fehlen eines in der Breite funktionierenden Kapitalökosystems: „Es braucht in Deutschland bessere Rahmenbedingungen zur Eigenkapitalmobilisierung, etwa über steuerliche Vorteile für Risikokapital.“ Darüber hinaus wären mehr Gründerzentren und Plattformen dringend notwendig, die Wissenschaft und Unternehmen miteinander verbinden und für eine schnellere Umsetzung von Ideen aus der Forschung in marktfähige Produkte sorgen, so der Experte.

Die Investitionen sind in der Medikamentenforschung ein wichtiger Faktor. Für die Zulassung von Medikamenten sind umfangreiche Tests notwendig, bis zur Marktreife kann die Entwicklung mehrere hundert Millionen Euro kosten. Ob das Medikament tatsächlich zugelassen wird und die Investition sich auszahlt, ist aber nicht sicher. Die Firmen aber brauchen Risikokapital.

Versäumnisse in verschiedenen Bereichen

In einer früheren Recherche des rbb konnte gezeigt werden, dass es eine Diskrepanz zwischen Medikamentenförderung und Impfstoffförderung seitens des Bundesforschungsministeriums gibt. Während für die Impfstoffe rund eine Milliarde Euro an Förderung bereitgestellt wurde, gab es für die Medikamentenentwicklung gerade mal 17,5 Millionen Euro. Nun kommt offenbar hinzu, dass auch die Förderung und womöglich Bereitstellung von Risikokapital vernachlässigt wurde.

Staaten wie die USA hingegen, versuchen, die Bedingungen für das Risikokapital günstig zu gestalten, etwa durch Steuererleichterungen. Und die Schweiz hatte kürzlich entschieden, dass Pensionskassen ein Promille der neu eingezahlten Beiträge als Risikokapital anlegen sollen. Dadurch könnten jedes Jahr bis zu 900 Millionen Euro zusammenkommen.

Scheitert die Entwicklung eines Medikaments, zahlt sich die Investition nicht aus. Gelingt sie dagegen, kann häufig mit hohen Renditen gerechnet werden. Noch wichtiger für Länder ist aber die Technologie-Führerschaft, denn diese sichert nicht nur Arbeitsplätze, sondern kann auch weitere Innovationen nach sich ziehen.

PM/ots/rbb/Sven Dröge/Kaveh Kooroshy

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