Köln. Die CDU-Politikerin Annette Schavan wirft der katholischen Kirche vor, die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals verschleppt zu haben. Am „Runden Tisch“ der Bundesregierung sei schon 2010 über die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt gesprochen worden, sagte die damalige Wissenschaftsministerin dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Freitag-Ausgabe).
„Jetzt hat man zehn lange Jahre, eine ganze Dekade, verstreichen lassen. Die Kirche könnte viel weiter mit Aufklärung und Veränderung sein, als sie es ist.“ Das mache sie skeptisch. Im Bereich des Sport sei es „allerdings nicht besser, im Gegenteil.“
Die aus dem Missbrauchsskandal erwachsene Krise sieht Schavan nicht auf ihr Heimatbistum Köln beschränkt. „Die Logik ‚Institutionenschutz vor Opferschutz‘ war überall die gleiche“, sagte die 65-Jährige. Der Kölner Bistumsleitung unter Kardinal Rainer Woelki, der unter anderem wegen eines unter Verschluss genommenen Missbrauchsgutachtens in der Kritik steht, empfahl sie, sich genau zu prüfen, ob sie das „Leben draußen“ noch ausreichend im Blick habe oder nicht doch einer versteckten Agenda folge, der die vielen Austritte letztlich egal seien und die sich lieber auf einen „kleinen heiligen Rest“ konzentriere.
Mit Blick auf persönliche Konsequenzen hochrangiger Würdenträger des Erzbistums als Konsequenz aus den Ergebnissen eines Ersatzgutachtens, das am 18. März vorgelegt werden soll, betonte Schavan, für sich allein hätten Rücktritte keine heilende Wirkung. Es müssten konkrete Schritte der Veränderung folgen. „Der Prüfstein muss sein: Passiert jetzt etwas? Dazu braucht es Tatkraft und klare Prioritäten, um erstens den Opfern gerecht zu werden – und zweitens den Gläubigen im Bistum.“ Wer in der Kirche ein Leitungsamt übernehme, steht in der Verantwortung gegenüber den Gläubigen, nicht nur gegenüber Rom. „Politische Verantwortung“ ohne einen Rücktritt übernehme nur der, „der etwas verändert und besser macht. Alles andere ist bloße Rhetorik.“
Die derzeitige Welle von Kirchenaustritten führte sie auf eine veränderte Kirchenbindung zurück, die sich durch die aktuellen Vorgänge im Erzbistum Köln weiter lockere. „Katholisch sein ist heute eine Option, mehr nicht. Wenn diese Option aber vornehmlich irritierend bis verstörend wirkt, ist die Bereitschaft entsprechend groß, sie beiseite oder hinter sich zu lassen.“ Als rheinische Katholikin aus einem klassisch katholischen Milieu der 60er Jahre schmerze sie das ungemein, sagte Schavan. „Es ist ja beim Rheinländer so, dass er viel Geduld hat, leben und leben lässt, aber wenn die Geduld am Ende ist, dann ist auch Schluss.“ Schavan bekundete auch ihre Sympathie für die katholische Reform-Initiative Maria 2.0. „Da sind Frauen unterwegs, die jahrzehntelang in dieser Kirche aktiv waren und denen jetzt der Geduldsfaden reißt.“
PM/ots/Kölner Stadt Anzeiger